23. Februar 2014

Die Schwestern Miracoli




"Wart es ab, du kriegst die Wohnung. Ganz sicher", flüsterte mir mein Freund ins Ohr. Wir standen in dem großen Dachfenster, dessen Scheibe ganz zur Seite geschoben werden konnte. Ich wollte, dass dieses Miniappartment, ein umgebauter Dachboden im 5. Stock (ohne Fahrstuhl) mit Fachwerkbalken und 25 Quadratmetern meine erste richtige Wohnung sein würde. Es klappte, ich unterschrieb den Mietvertrag. L. hatte also Recht gehabt.

Seinetwegen hatte ich mich, nach einem eher freudlosen Jahr als Praktikantin in Frankfurt/Main und einem noch freudloseren Zimmerchen in Friedberg mit Oma-Tapete, das der verschrobene Hausmeister einer US-Army-Kaserne nur an Nichtraucher und Wochenendheimfahrer (exakt so stand es in seinem Inserat) vermietete, in Nordrhein-Westfalen in verschiedenen Reisebüros beworben. L. studierte in Münster Germanistik und Philosophie. Er hatte also eine Menge Zeit, zum Beispiel, sich in D. zu verlieben und diese von seinen Vorzügen zu überzeugen. Eine Woche, nachdem ich nach Düsseldorf gezogen war, trennte ich mich von L., dem charmanten Arztsohn. Immerhin, er hatte mir noch beim Einzug geholfen.

Als ich dann schließlich endgültig in die Ackerstraße 130 einzog und auf meinem kleinen bunt gestreiften Sofa saß, wusste ich nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Es gab mehrere Gründe zu weinen:

L. war nach knapp viereinhalb Jahren nicht mehr mein Freund und machte mit D. rum.

Es war sauheiß unter den Dachschrägen. Im Winter wurde es später lausig kalt. Die Nachtspeicherheizung fraß mein nicht vorhandes Geld.

Ich hatte keinen Telefonanschluss. Zwei Monate lang. Handys gab es noch nicht, allenfalls für Geschäftsleute. Wenn ich alle paar Tage in eine gelbe Telefonzelle (!) ging, um meine Eltern anzurufen, fühlte ich mich niedergeschlagen und einsam. Ich bekam Ansichtskarten aus meiner Heimat mit Parolen wie "Halte durch. H. + H." (Hermann + Hildegard)

Meine Ausbildung machte mir zunächst wenig Freude. Ich durfte die ersten sechs Monate hauptsächlich Flugcoupon- und Rechnungskopien abheften. Und machte bei dieser stupiden Arbeit trotzdem Fehler. Zu lachen gab es fast nichts. Ich kannte keinen einzigen Menschen in Düsseldorf.

Eines Tages lud mich meine gleichalterige Nachbarin zu ihrer Geburtstagsfeier ein. Sie bewohnte die andere Hälfte des schlecht isolierten Wäschetrockenbodens und trug den Namen Das reizende Frollein Schmorleiz. Meine Vermieter meine Nachbarin euphorisch beschrieben. "Das reizende Frollein Schmorleiz hat ihre Wohnung gaaanz niedlich eingerichtet. Sie arbeitet übrigens auch im Reisebüro. Das passt doch."

Ja, es passte. Nachdem wir uns angenähert hatten, entwickelten wir eine richtig gute Freundschaft unterm Dach juchhe. Wir waren eine WG mit Tür-zu-Möglichkeit. Wir waren die Schwestern Miracoli und aßen Familienpackungen des Nudelgerichts, anschließend noch Eis und in der Vorweihnachtszeit noch ein paar Nussecken hinterher, die die Mutter des reizenden Frollein Schmorleiz in unnachahmlicher Weise gebacken hatte. Danach manikürten wir unsere Nägel, wobei wir Musik hörten oder Trash-Sendungen wie die Mini-Playback-Show schauten.

Neue potentielle Partner wurden besprochen, Liebeskummer weggetröstet, Übernachtungsbesuch einquartiert. Ich glaube, zuweilen waren es acht oder neun Personen, aufgeteilt auf beide winzige Wohnungen. Es war ein Segen, dass Jutta (so der wirkliche Name des reizenden Frollein Schmorleiz) einen Zweitschlüssel meiner Wohnung unter Aufsicht hatte. Ich war ein Schlüsselschussel und Meisterin des Sich-Aussperrens.

Ich erinnere mich an liebe Nachbarn, wie die tunesische Familie Netis, an Frau Naruhn, die später zu den Kindern nach Fürth zog, und an Frau Elisabeth Müller. Diese alte Dame nannte mich im Treppenhaus einmal Frau Beyer. Ich korrigierte sie und sagte, dass mein Name Meyer sei. "Sie heißen Meyer? Ach. Ich habe immer für Frau Beyer gebetet. Na, der liebe Gott wird schon wissen, wen ich meine." Eines Tages kam der Notarztwagen und nahm Frau Müller mit.

Manchmal ging ich allein ins Paco´s auf der Hermannstraße. Eine Zeitlang war die Kneipe mein zweites Wohnzimmer. Ich traf immer jemanden, den ich kannte, zum Beispiel Harry Klein. Lachen Sie nicht. Der Saarländer hieß wirklich so. In seiner Souterrainwohnung auf der Birkenstraße tischte er Jutta und mir nicht nur fantastische Spaghetti Carbonara, sondern auch leicht schlüpfrige Geschichten auf, von denen ich bis heute nicht weiß, ob sie uns Mädels erotisieren sollten.

Als ich mich in meinem Viertel richtig, richtig heimisch fühlte, da verguckte sich das reizende Frollein Schmorleiz in einen Düsseldorfer mit Wohnung auf der Achenbachstraße. Mein Freund, der zufällig auch wie L. in Münster studiert hatte, kam nach Düsseldorf und passte keineswegs auch noch in die Minibude im 5. Stock (ohne Fahrstuhl).

Und so verabschiedete ich mich nach fünf Jahren von meiner viel zu teuren, viel zu weit oben gelegenen, viel zu heißen, viel zu kalten, viel zu kleinen und trotzdem heiß geliebten Wohnung.

"Das war doch eine schöne Zeit, da unterm Dach", meinte neulich das reizende Frollein Schmorzleiz, das nach zehn Jahren in Australien glücklicherweise wieder nach Düsseldorf zurückgekehrt ist.


"Ja", sagte ich, "absolut schön."