23. Februar 2014

Marlon!

Ich bin heute wieder Zug gefahren. Allerdings nur von Düsseldorf nach Essen und nach einem Meeting von Essen nach Düsseldorf zurück. Kurze Strecke, kurzer Artikel, ist ja logisch. Mein Regionalzug ist mir vor der Nase weggefahren, und weil ich nicht auf den nächsten Regionalzug warten will, gönne ich mir ein Intercity-Ticket. Blöd nur, dass dieser wiederum soviel Verspätung hat, dass ich genauso gut die nächste Regionalbahn hätte nehmen können. Ich bin an einem Punkt, wo mir das Denken schwer fällt. Sagen Sie mal, sind Sie auch so matschig im Kopf bei diesem feuchtwarmen Wetter? Ich könnte den ganzen Tag schlafen. Das teure Ticket ist bereits gezogen, also nehme ich auch den teuren Zug und hoffe, dass dieser nicht so voll ist.

Pustekuchen. Es ist ein Tag vor einem Feiertag, da sind alle Züge voll. Ich finde einen Platz in einem Großraumwagen mit ziemlich vielen Kindern. Als ich sitze und der Zug losfährt, ahne ich, dass die Verfügbarkeit des Platzes in direktem Zusammenhang mit den minderjährigen Mitreisenden steht. Den ziemlich vielen Kindern ist ziemlich langweilig, weshalb sie ziemlich laut sind. Besonders lebhaft gebärdet sich Marlon. Erst sehe ich ihn gar nicht, dafür höre ich seine Mutter: „Marlon, Marlon! Komm bitte wieder hierher und setz dich neben mich. Marlon, nein, du gehst nicht in den anderen Wagen, bleib hier. MARLON!“ Ein Baby schreit, ein größeres Mädchen steht auf dem Sitz und schaut sich die Erwachsenen an, die tumb auf die Bildschirme ihrer Laptops starren. Plötzlich steht ein kleiner süßer dunkelblonder Junge mit einem hellblauen Comic-Shirt vor dem Platz einer ernst dreinschauenden älteren Dame mit schwarz gefärbtem Haar und sieht sie sich eine Weile an. Die ältere Dame liest weiter in ihrem Buch, schaut nicht auf, sagt nichts. Der Kleine ist circa 2 Jahre alt, aber da verschätze ich mich gern mal. Er läuft sehr gut, vor allem seiner Mama weg, über die Sprachentwicklung kann ich allerdings nicht viel berichten. Meistens lacht er.

Der Zug hält in Duisburg. Marlon möchte gern aussteigen und versucht dies auch.
„Marlon, Marlon. Du kommst sofort zu mir. Geh aus der Tür. Komm hierher. MARLON!“ Die Mutter steht auf und schleift ihren grinsenden Spross durch den Gang zurück zu seinem Sitz. Zwei Minuten später steht Marlon wieder vor der Frau mit den schwarz gefärbten Haaren, die ihn wieder nicht beachtet. Ich frage mich, woher Kinder diese unbändige Energie hernehmen und woher die Mütter die Nerven. Der kleine Junge sagt nun „Hallo“ zu der lesenden Frau, lacht und küsst sie – wie durch eine spontane Eingebung – auf ihr Knie. Da die ältere Dame auch darauf nicht reagiert, vermute ich, dass sie während dieser Reise ihre letzte angetreten hat.

„Marlon, komm jetzt bitte. Lass die Leute in Ruhe. MARLON!“ Der Kleine dreht sich um, sieht mich, feixt und küsst ebenfalls mein Knie. Ich sage: „Du bist ja vielleicht lustig. Küsst hier einfach so rum. Gibt’s dich auch in größer?“ Kaum ausgesprochen, steht ein vielleicht fünfjähriger Junge, höchstwahrscheinlich Marlons Bruder, wie aus dem Nichts neben mir und küsst meine Wade (ich habe immer die Beine übereinander geschlagen, ja, ich weiß, dass man das nicht tut, weil das zu Krampfadern führt). Nun traue ich mich nicht mehr die „Gibt´s dich auch in größer?“-Frage zu stellen. Wer weiß, wohin das führt? Marlon küsst noch fröhlich den Arm der Mitreisenden schräg vor mir, da erhebt sich seine Mama von ihrem Platz und fängt ihn wieder ein.

Weil ich am Düsseldorfer Hauptbahnhof ausgestiegen bin, weiß ich nicht, ob Marlon und sein Bruder weitergeküsst haben. Ich fand die ganze Knutscherei irgendwie merkwürdig. Aber erscheint einem bei diesem feuchtwarmen Wetter nicht alles ein wenig diffus?

Im Nachhinein habe ich das Gefühl, mir das alles nur eingebildet zu haben.

Eine Knutschi Morgana. Oder so.